23. Marathon des Sables, 28. März - 7. April 2008
Ich weiß noch nicht so richtig, in welche Kategorie ich diese Lauf- und Erlebniswoche in der marokkanischen Sahara einstufen soll ... und ich habe Zweifel, dass ich das Erlebte auch nur annähernd in Worte fassen kann.
Trocken-sachlich kann man sagen: ca. 245 km in 6 Etappen mit Eigenversorgung durch die marokkanische Sahara. Die Organisation stellt täglich ein Biwak mit 8er-Berberzelten, Checkpoints im Abstand von ca. 8 - 12 km, Wasser (10,5l /Tag, die im Biwak bzw. an den Checkpoints ausgegeben werden) und medizinische Versorgung. Im Rucksack sind neben einer schmalen Liste mit Pflichtmaterial mindestens 2.000 kcal Verpflegung pro Tag... Die Strecke ist in einem Roadbook beschrieben, dazu gibt's eine Karte mit Peilungen zwischen den Wegpunkten und zum Drüberstreuen regelmäßig gut sichtbare Markierungen.
Das was für mich den Mythos des MDS ausmacht, ist aber die Mischung aus ...
- einer unglaublich vielfältigen Landschaft mit weich-fließenden Dünen und karstigen Felsformationen, unendlichen Weiten, die durch plötzlich aufragende Berge begrenzt werden; ein Gemälde in gelb bis schwarz, himmelblau gerahmt und gespickt mit Grüntönen
- Urlaub mit Freunden, die man vorher noch nicht kennt
- einer professionellen High-Tech-Organisation mit Herz, die spüren lässt, dass ihr jede/r TeilnehmerIn gleich wichtig ist
- der Unberechenbarkeit des Unbekannten
- der sportlichen Herausforderung
- der Begegnung mit sich selbst und
- Gänsehaut bei 47° im Schatten.
Preludium
Solide vorbereitet trete ich die Reise nach Marokko an und erlebe bereits bei der Ausgabe des Roadbooks Unerwartetes: keine Schonung auf den ersten Etappen; gleich am ersten Tag - mit (noch) schwerem Gepäck - geht es in den großen Dünengürtel von Erg Chebbi und über eine Distanz von 31 km, Etappe 2 und 3 gehen dann über 38 und 40 km. Das ist doch ein wenig mehr, als erwartet und so lege ich noch im Bus auf dem Weg in die Wüste eine ordentliche Portion Respekt drauf.
Die Vorbereitungen im ersten Biwak laufen reibungslos. Unser 8er-Zelt (Claudia aus Aachen, Uwe aus Tübingen, Thomas aus Liechtenstein, Heidi und Peter aus Graz, Tim aus Witten und Thomas aus Stuttgart) harmoniert von Anfang an und mein Equipment funktioniert hervorragend. Einzig in Sachen Verpflegung bin ich nochmals gefordert, den richtigen Kompromiss zwischen "so viel wie nötig" und "so wenig wie möglich" zu finden.
Stage 1 (31,6 km, Erg Chebbi – Erg Znaigui)
Ich starte sehr zurückhaltend. Mein Fokus ist auf meine Füße gerichtet und bereits nach ca. 5 km stoppe ich mitten in den Dünen um eine leichte Druckstelle abzukleben. Auch bei den beiden CPs lasse ich mich nieder, um die Füße auszulüften und zu pflegen ... Viel Zeit, aber im Nachhinein wahrscheinlich gut investiert. Die Strecke schmeckt an diesem Tag nach "Dünenburger": zwischen zwei Dünengürteln mit ca. 1'500 Höhenmetern wird ein langes Plateau serviert. Ich erreiche Biwak 2 nach 6:37:47, von denen ich nur den kleineren Teil gelaufen bin
Stage 2 (38 km, Erg Znaigui – Oued el Jdaid)
Ich bekomme langsam ein Gefühl für die Geschwindigkeit und Entfernungen und laufe gut an, in den Dünetten nehme ich aus Respekt die Kraft aus den Schritten und gehe. Bei CP1 Nach 12 km werden die Füße wieder gepflegt. Zwischen km 18 und 24 hab ich dann die ersten Krisen; es geht nicht so wie ich will, die Schultern beginnen unter dem Rucksack zu schmerzen und schließlich reißt auch noch der Brustgurt aus der Führung: stehen bleiben, Rucksack abnehmen, reparieren, auf die Schultern und weiter geht´s ... aber das zerklüftete und unebene Wadi macht mir zu schaffen, bevor ich mich nur noch gehend in CP2 (km 24) retten kann. Nach der Fußpflege in CP2 laufe ich mit frischem Mut an, bis nach einem km eine bisher unentdeckte Blase unter dem Ballen platzt: Wieder anhalten, Schuhe aus, Füße versorgen ... Schließlich bringt mich mein MP3-Player zu CP3 und nach insgesamt 7:38:20 weiter ins Biwak 3. "Was einen nicht umbringt macht hart".
Stage 3 (40,5 km, Oued el Jdaid – Ba Hallou)
Wieder laufe ich gut und kontrolliert an, langsam lerne ich den Sand zu lesen und meine Schritte entsprechend zu wählen, versorge allerdings wieder mitten in den Dünen bei ca. km 11 meine Blasen. Bei CP1 (km 13) dasselbe nochmals ... Ab hier läuft´s allerdings nahezu perfekt. Sowohl durch die Dünen vor als auch nach dem Jebel Foum al Hopaht finde ich einen guten Schritt, über den Berg selbst sowieso. Bei CP2 nach 25,5 km gibt's an diesem Tag für meine Füße die letzte ausführliche Pause, denn trotz zweier zäher Kilometer zwischen km 28 und km 30 verwöhne ich bei CP3 nur meinen Rücken mit etwas Gymnastik und ziehe gleich weiter. Kleine Orientierungsprobleme auf den letzten Kilometern spornen mich dann noch zu einem Finish ins Biwak 4 an, das ich gemeinsam mit der in Frankreich lebenden Rumänin Elena anziehe, die bei km 37,5 auf mich aufläuft. Erstmals habe ich das Gefühl, dass ich sicher finishen werde, es macht richtig Spaß! 8:55:47
Stage 4 (75,5 km, Ba Hallou – Oued Ahssia)
Heute geht es an´s Eingemachte. In der Früh sortiere ich unnötiges Material aus und optimiere mit Psychotricks mein Rucksackgewicht, indem ich z.B. überflüssigen Hirschtalg aus der Tube drücke ... Ich finde wieder ein gutes Starttempo und lasse mich nicht von anderen irritieren. Bei km 7,5 kommt dann ein Schlüsselerlebnis. Beim steilen Anstieg (25%) auf den El Oftal entscheide ich mich gegen den Singletrail am Fels und kann auf der daneben liegenden Riesendüne ein ganzes Stück der nur äußerst langsam vorankommenden Kolonne überholen; ein mentaler Anker, der mir Halt und Flügel zugleich gibt. Ab einem kurzen Halt bei CP1 (km 12,5) treffe ich immer wieder meinen „Wingman" Uwe. Ab CP2 (km 23), bei dem ich erstmals völlig ohne Rast durchlaufe sind wir dann auch über weitere Passagen gemeinsam unterwegs und basteln gedanklich an Wetten für die große deutsche Samstag-Abend-Show. Fußprobleme kenne ich heute keine, deshalb wird bei CP3 (km 35) auch nur ausgelüftet aber nicht geklebt. Nach dem Aufstieg auf den Mhadid Al Elahau kämpfe ich eine Stunde wieder mit tiefem Sand, schaffe es aber gemeinsam mit Uwe noch vor Sonnenuntergang zum CP4, wo wir die Espit-Kocher auspacken und uns für die Nacht rüsten. Punkt 20:00 brechen wir auf und gehen die nächsten 5 km gemeinsam mit Veteran Volker. Dann muss ich wieder laufen, das Gehen macht meinen Knien zu schaffen. Der Untergrund wird wieder zunehmend sandiger und steiniger .... In den nächsten Stunden treffe ich auf der Strecke nur etwa 15 andere, allesamt von hinten, bis ich um 1:45 schließlich wie in Trance durch den beleuchteten Zielbogen laufe. Überglückliche 16:32:46.
Stage 5 (42,2 km, Oued Ahssia – Isk N´Brahim)
Schon am Ruhetag nach der „long stage" versuche ich den hartnäckigen Gedanken „nur ein Marathon" zu bezwingen und versuche einen angemessen respektvollen Zugang für die vorletzte Etappe zu finden. Zum Frühstück trinke ich außer meinem Müsli einen von Tims übrig gebliebenen Brühwürfeln und am Start bin ich wieder voll bei der Sache ... bis ich bemerke, dass meine rechte Handschlaufe für den Stock fehlt. Nach erfolgloser Suche im Lager bastle ich aus Tape und Elastoplast Ersatz und stehe punktgenau zum Countdown wieder in der Menge. 3, 2, 1, ab! Es läuft wie geschmiert, bei CP1 nehme ich das Wasser im Vorbeigehen mit, bei CP2 nehme ich mir gerade mal Zeit, die Schuhe zu entsanden. Wenn ich in diesem Schnitt weiter mache, bin ich nach 6 Std. im Biwak ... Dann wird aber der Boden richtig tief, dazu Hitze um die 45°, an Laufen ist bei mir nicht mehr zu denken. Nahe einer Oase erbarmen sich meiner ein paar marokkanische Mädchen; sie nehmen mich an den Händen und bringen mich wieder in Trab. Dann endlich CP3 (km 31) und nur noch 11 km, die sich auf einer leicht ansteigenden Ebene allerdings ganz schön ziehen. Den Zielbogen kann ich ganze 20 Minuten lang sehen, bevor ich endlich ins letzte Biwak einlaufe. 7:15:12.
Stage 6 (17,5 km; Isk N´Brahim – Tazzarine)
Die letzte Etappe des Marathon des Sables ist ein wenig wie „alleine am 5er" für den Stürmer im Fußball; treffen muss er allerdings immer noch! Der Rucksack ist mittlerweile auf das Notwendigste erleichtert, die Strecke ist auch flach und nicht so anspruchsvoll, wie an den vorangegangenen Tagen. Trotzdem bin ich konzentriert bei der Sache. Ich laufe wieder meinen gewohnten Rhythmus, achte darauf, dass ich mich nicht vertrete und bemühe mich, mein mittlerweile schmerzendes linkes Schienbein zu ignorieren. Mit jedem Kilometer werden die bunt gekleideten Kinder mehr, man spürt die Nähe der Stadt Tazzarine. Die letzten Kilometer werden noch einmal lang: hinter jedem Mauervorsprung oder Straßenbiegung könnte das Ziel sichtbar werden ... die endgültige Zielgerade ist dann aber viel zu kurz. Dieses Finale hätte ich noch kilometerlang auskosten können. Nach 2:30:02 hängt die begehrte Finisher-Medaille um meinen Hals ...
Was ich noch sagen wollte ...
Die unbeschreiblichen Eindrücke, die unvergesslichen Begegnungen und die erkenntnisreichen Dialoge mit mir selbst habe ich aus diesen Zeilen ausgeblendet; es würde ja doch niemand verstehen, geschweige denn nachempfinden können.
Unbedingt los werden will ich allerdings noch ein "Danke Anke!".
>>> [Anm.d.Redaktion: Anke Molkenthin, Teammitglied von Team-Austria-Unlimited, Siegerin 1997 Marathon-des-Sables]
Ohne sie hätte ich vielleicht nie entdeckt, dass Laufen auch Spaß machen kann, ... hätte ich nie den Mut gehabt, mich in dieses Abenteuer zu stürzen ... und wäre wohl auch nicht so passend vorbereitet gewesen!