"Nicht in der Erkenntnis liegt das Glück, sondern im Erwerben der Erkenntnis"

...meine Libyan Challenge 2009

Ich lehne an einer Felswand und blicke auf ein unglaubliches Panorama: etwa 40 Meter vor mir stürzt das mit schwarzen Bruchsteinen bedeckte Plateau in die Tiefe, darunter öffnet sich ein weites Tal, das Richtung Norden in der Ferne auf eine orange leuchtende Dünenkette zufließt. Richtung Osten bauen die dunklen Sedimentschichten in sanften Formen ein Plateau bis auf Augenhöhe, zackige Felsen setzen sich als Krone auf die Formation.

  • Der Akakus - ein Gebirge der Sahara im Südwesten LibyensDer Akakus - ein Gebirge der Sahara im Südwesten Libyens

Meine Hände massieren das rechte Fußgewölbe und tasten vorsichtig die Mittelfußknochen ab. Bis vor wenigen Momenten stapfte ich ein wenig erschöpft aber zuversichtlich durch den Akakus, ein Gebirge der Sahara im Südwesten Libyens. Mit einem Schritt war alles anders. Schmerzen machen es unmöglich den rechten Fuß zu belasten.

Am Anfang ...

51 Stunden zuvor war ich gemeinsam mit 114 anderen ErlebnisläuferInnen durch den Startbogen der Libyan Challenge gelaufen. Ein relaxter Start, wie auch der vorangegangene Anpassungstag im Camp nahe dem Wüstenstädtchens Ghat. Das Feld zieht sich rasch in die Länge. Die Topleute galoppieren mit ca. 12-14 km/h über das steinige Tal, die letzten traben nicht einmal halb so schnell los.

Uwe und ich wollen so lange wie möglich beisammen bleiben und finden bei ca. 8km/h unseren Rhythmus bis zum ersten großen Anstieg auf die 1.041m des Col d´Awis. Checkpoint 1 (CP1) erwartet uns erst bei km 27,2, also habe ich alle 4,5 Liter Wasser, die zur Verfügung standen bei mir. Gemeinsam mit der Pflichtausrüstung, Verpflegung und meinen eigenen 85 kg hebt jeder Schritt ca. 102 kg Richtung Passübergang. Ich habe traditionell ein paar kcal mehr im Rucksack als die meisten anderen, wenngleich nicht ganz die geschätzten 20.000 kcal die ich im Zuge der Veranstaltung verbrennen werde.

  • Uwe erfrischt sich am Col d AwisUwe erfrischt sich am Col d Awis
  • Höhlenmalerei nahe CP1Höhlenmalerei nahe CP1

Wir wollen am ersten Tag CP3 bei km 72,3 erreichen und bei CP 2 eine (ausgiebige) Essenspause einlegen. Den Einbruch der Dunkelheit erwarten wir um ca. 20:00, was uns aber nicht weiter beunruhigt, denn laut Briefing sollte die Navigation zwischen CP2 und CP3 einfach und auch in der Nacht gut machbar sein. Ich erreiche CP3 um 24:00, eine Stunde später – nach Verpflegung und Besuch beim Fußdoctor, der sich um eine dicke Blase unter dem linken großen Zehenballen kümmert – liege ich unter einem dicht bestückten Sternenhimmel in meinem Schlafsack ... Danke.

Abschied von Wingman Uwe

Zum Tagesanbruch präsentiert sich der Akakus von seiner schönsten Seite. Felsen, die in der Morgensonne glühen, Dünen, die weiche Schatten auf die eigenen Flanken zeichnen, ... Ich fotografiere Uwe unter einem Steinbogen. Wir sind seit 6:00 auf den Beinen und wollen heute Nacht CP6 bei km 135 erreichen. Es ist allerdings das letzte Mal, dass ich meinen "Wingman" auf der Strecke spreche und verliere ihn 8 km später auch aus den Augen, da ich sein Tempo nicht halten kann.

  • Bizarre Felsformationen in den DünenBizarre Felsformationen in den Dünen
  • Unter einem Steinbogen spreche ich Wingman Uwe das letzte Mal auf der StreckeUnter einem Steinbogen spreche ich Wingman Uwe das letzte Mal auf der Strecke
 

Alleine und doch nicht ...

Der Untergrund wechselt zwischen Sand und Geröll und außer direkt am CP4 sehe ich keinen Menschen weit und breit. Ich verschmelze mit meiner Umgebung und schlängle mich zwischen Hügeln aus schwarzen Bruchsteinen durch ein kleines Tal hoch. Aus dem goldenen Sand wachsen karge Sträucher und strohige Gräser empor. Die Spuren lassen vermuten, dass sich hier neben den Skarabäen kleine Säugetiere und Echsen tummeln. Ein Moula-Moula flattert unruhig von Strauch zu Strauch und hüpft durch den Sand, als wollte er mir den Weg weisen. Bei den Touareg gilt der kleine, schwarz-weiße Vogel als Glücksbringer. Ich vertraue trotzdem lieber auf die GPS-Peilung und lande schließlich an einer Klippe, etwa 100 Meter über einem sandig gelben Tal. Hier sollte irgendwo ein Pfad hinab führen ...

  • Aus dem goldenen Sand wachsen karge SträucherAus dem goldenen Sand wachsen karge Sträucher
  • und lande schliesslich an einer Klippe etwa 100 Meter über einem sandig gelbem Talund lande schliesslich an einer Klippe etwa 100 Meter über einem sandig gelbem Tal
 

"I know how you feel", ...

kommentiert Rebecca aus Australien von hinten meinen Seufzer. Steter Wind bläst uns auf der Sandpiste entgegen und macht das Vorankommen noch schwieriger. Rebecca Ist gemeinsam mit ihrem Freund Cameron unterwegs. Ihr kleiner Satz verändert tatsächlich mein Empfinden, lässt mich kräftiger fühlen und wieder etwas besser vorankommen. Wenig später springt der Kameramann des US-Teams aus einem Wagen "You are looking good" ... was meint er jetzt? Meine modische Wüstenhaube? ... oder gar meine Körpersprache? Er schafft es jedenfalls, mich wieder zum Laufen zu bringen und die Dünetten im Sonnenuntergang so richtig auszukosten ... es macht plötzlich wieder unglaublichen Spaß ...

  • Rebecca und CameronRebecca und Cameron

Nachtflug

Das Wettrennen zu CP5 (km 116,6) gewinnt die Dunkelheit, für die letzten 500m muss ich doch noch die Stirnlampe aus dem Rucksack holen und verpasse damit auch, die Grotte mit den Höhlenmalereien bei Tageslicht zu sehen. Bis 24:00 stehen Essen, Trinken, Fußpflege und eine Runde Schlaf auf dem Programm, dann geht's weiter durch die Nacht Richtung CP6 bei km 135. Unstimmigkeiten meines GPS führen mich dabei vorerst auf einige Irr- und Umwege, nach dem Motto "zurück zum letzten bekannten Punkt" finde ich auch wieder auf den rechten Weg zurück, treffe etwas später auf den zweiten Österreicher Hans und Jens aus Sachsen und checke immerhin noch vor Sonnenaufgang bei CP6 ein.

Für heute hatte ich ruhige 37km geplant, etwa die Hälfte der bisherigen Tagespensen, um dann mit Anbruch des letzten zur Verfügung stehenden Tages die finalen Kilometer durch die goldenen Dünen im Sonnenlicht genießen zu können. Aber nach knapp 10 km zwingt mich mein Fuß also an den Felsen.

Erkenntnis

Ich schlüpfe wieder in den Schuh und probiere es weiter, aber das Fußgewölbe hält das Körpergewicht nur unter starken Schmerzen ... das kann´s doch nicht gewesen sein! ... nicht einmal ein Viertel vor dem Ziel ... oder doch?
Ich erinnere mich an Gedanken des letzten Herbstes: "wann ist es richtig stehen zu bleiben?" – jetzt? Ich denke auch an Heidi, die sich im vorigen Jahr in Marokko trotz Medikamenten mit unmenschlichen Schmerzen ins Ziel geschleppt hatte und ich denke an meinen Wahlspruch für dieses Abenteuer: "Nicht in der Erkenntnis liegt das Glück, sondern im Erwerben der Erkenntnis". Ist das meine Erkenntnis, nicht am vorgegebenen Ziel festzuhalten, sondern meinem Körper zu folgen?

Michel bietet mir Hilfe an. Wir plaudern, schwärmen über die Landschaft und machen ein gemeinsames Erinnerungsfoto bevor er nur unwillig alleine weiterzieht. Er wird im CP7 Bescheid geben, dass ich Probleme habe, aber niemand sollte sich Sorgen machen, auch wenn ich für die nächsten 2 km noch eineinhalb Stunden brauchen dürfte ... So kommt es dann auch: Ich bin dankbar, den Abstieg zu CP7 mit eigener Kraft zu schaffen und beende dort nach kurzer Nachdenkpause das Rennen: keine Schmerzmittel, kein Risiko für meine Gesundheit und kein Risiko für die Organisationscrew, mich aus irgendeiner misslichen Lage retten zu müssen.

  • Michel lässt mich die Schmerzen kurz vergessenMichel lässt mich die Schmerzen kurz vergessen
  • bevor es den Abstieg zu CP7 hinab gehtbevor es den Abstieg zu CP7 hinab geht
 

Die anderen Gewinner

Die beiden Schnellsten Sébastien Chaineau/FRA und Guillaume Le Normand/FRA absolvierten die 187 km in sensationellen 29:54 Std., an dritter Stelle lief die beste Frau (Alexandra Rousset/FRA) nach 31:21h durch den Zielbogen. Der letzte (Mohamed Albaka Alfacy/LIB) kam nach 75:31h in Ziel. Von den 115 StarterInnen aus 15 Nationen verdienten sich 93 ihr Finisher-Shirt und die Erinnerungsmedaille, davon 11 Frauen und 82 Männer. Die 187 km sind übrigens gemessene Luftlinien zwischen den mit GPS-Koordinaten angegebenen Wegpunkten, die tatsächliche Wegstrecke der Libyan Challenge dürfte bei rund 200km liegen.

  • Klaus - Nr 97Klaus - Nr 97

Die Libyan Challenge ...

ist ein "Footrace" durch den Akakus, ein Gebirge in der Sahara Süd-West-Libyens. Die Strecke ist mit GPS-Koordinaten von 101 Wegpunkten definiert und beträgt ca. 200km (186,876 km Luftlinie zwischen den Wegpunkten). 9 Checkpoints, an denen Wasser und medizinische Versorgung zur Verfügung stehen sowie zwei weitere Kontrollpunkte sind zu passieren. Das Rennen wird in der Nacht nicht gestoppt. Einen Cut off gibt es bei km 135 nach 52 Std., Zielschluss ist nach 80 Std.
Neben 7.000 kcal Verpflegung muss jeder Teilnehmer folgende Pflichtausrüstung mittragen: Rucksack, Schlafsack, Kompass, GPS + Ersatzbatterien, Lampe + Ersatzbatterien, Feuerzeug, Taschenmesser, Vakuumpumpe, Desinfektionsmittel, Signalspiegel, Salztabletten o.ä., Signalpfeife, Rettungsdecke.

Infos: www.libyanchallenge.com

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