2024-NOV-24 – Maratona Monumental de Brasília (BRA)
Ein wahrlich monumentales Lauferlebnis im Weltkulturerbe
(Laufbericht von Werner Kroer)
Vorüberlegungen
Einmal Brasília zu besuchen hatte ich schon immer auf meiner Bucketliste der 100 Dinge, die man im Leben gemacht haben soll. Für den Architektur Interessierten repräsentiert die vom Städteplaner Lúcio Costa und Architekten Oscar Niemeyer in den 50er-Jahren auf dem Reißbrett entworfene und in relativ kurzer Zeit realisierte Planstadt quasi das Mekka der architektonischen Moderne. Weitläufig wurde damals der Basisplan (Plano Piloto) der neuen Hauptstadt Brasiliens als Grundriss eines Flugzeugs ins Alto Plano, das Brasilianische Hochplateau, projiziert. Eine von Nord nach Süd führende Eixo Monumental als parallel angelegte Hauptverkehrsachse wird im zentralen Bereich des Regierungsviertels durch eine ähnliche Querachse gekreuzt und lagert die Stadt gegen Nord-Ost und Süd-West weit aus. Mit diesem grundsätzlichen Bebauungsplan war es Oscar Niemeyer möglich seine bedeutendsten Bauten zügig zu entwerfen und realisieren: Congresso Nacional, Palácio da Justiça, Palácio de Planalto (mit dem Präsidentenbüro), Supremo Tribunal Federal und der Praça dos Três Poderes mit dem Panteão da Pátria e da Liberdade Tancredo Neves, das Pedra Fundamental do Memorial aos Combatentes da Segunda Guerra und den Palácio Itamaraty; weiter nördlich dann die Catedral Metropolitana Nossa Senhora Aparecida, das Museu Nacional de República, die Nationalbibliothek u.v.m.; ebenso die Bauten für 15 Ministerien beidseitig des Grünstreifens der Esplanada dos Ministérios mit den repräsentativen Büros vorne direkt an der Eixo Monumental und den Gebäuden und der mit Hochstegen verbundenen Anexos do Ministerios für Verwaltung und Abwicklung im hinteren Bereich. Es erstaunt nicht nur, dass die Bauwerke in ihrer einzigartigen Formensprache selbst heute noch so unvergleichlich zeitlos modern wirken, sondern dass auch die Anordnung derselben und ihr Verhältnis zueinander einem konsequent durchdachten Masterplan folgen. Weitere Erörterungen würden jedoch den Rahmen dieses Laufberichtes sprengen. Aber durch die 1997 erfolgte Anerkennung der Stadt als Weltkulturerbe ist viel Sekundärliteratur für in der Materie tiefer Interessierte vorhanden.
In meinen letzten 20 Berufsjahren war ich bereits mehrfach beruflich in Brasilien, aber bis in die Hauptstadt hatte ich es dabei leider nie geschafft. Als ich dann im vergangenen Jahr über Social Media rausfand, dass Brasília seit vier Jahren ebenfalls einen Marathon veranstaltet (fast alle anderen brasilianischen Großstädte haben eine viel längere Marathon Tradition), reifte langsam der Plan, 2024 im Rahmen einer kleineren Rundreise auch den "Distrito Federal" miteinzubeziehen und dabei auch den Hauptstadtmarathon zu laufen. Architektur-Sightseeing kombiniert mit Marathonlaufen, das hatte bereits viel Vorfreudepotenzial.
Ankunft in Brasília und erste Eindrücke
Da ich mich bereits seit gut einer Woche im Süden des Landes aufgehalten hatte (und bei dieser Gelegenheit auch am vorangegangenen Sonntag den eindrucksvollen Marathon in Curitiba gelaufen war), war die Anreise von Florianopólis mit Inlandsflug relativ kurz und einfach. Ich hatte schon lange ein Hotel im Setor Norte an der Eixa Monumental gebucht, da die Hotels sehr gut gebucht sind. Wie schon letztens reserviere ich bei Ankunft am Flughafen wieder ein Taxi beim "Safer Pass" Stand, welches mich in Kürze zum Hotel bringt (EUR 12).
Eine erste Exkursion am Nachmittag übertrifft dann doch meine Vorstellungen. Die Dimensionierung der Planstadt, 1960 für eine halbe Million Einwohner ausgelegt, erscheint heute bei mehr als fünffacher Bevölkerungszahl immer noch sehr großzügig. Natürlich hat die Stadt auch weitläufig ins unbebaute Land hinaus expandiert, aber im zentraleren Bereich sorgen die klug angelegten Achsen-Autobahnen mit kaum Kreuzungen, sondern Unterführungen und ausgeklügelten Abbiegespangen für fließenden Verkehr ohne Staus. Einfach gerade nach Süden gehend, entlang dem breiten Grüngürtel zwischen den drei- bis vierspurigen Fahrbahnen der beiden Monumentalachsen (Via S1 / Via N1), erreiche ich bereits nach einer halben Stunde die Esplanada dos Ministérios, wo am Sonntag das Startgelände des Marathons sein wird. Man sieht schon fleißig Aufbauaktivitäten im Gange, sind doch bereits für Samstagabend die Kinder- und Kurzbewerbe (5K/10K) angesetzt.
Mich zieht es jetzt aber noch weiter direkt zu den zentralen Hauptwerken Niemeyers, dem monumentalen Congresso Nacional mit den beiden flankierenden Kuppelbauten (Repräsentantenhaus und Senat), sowie dem nachgelagerten Fórum de Palmas dos Imperiais (60 Palmen) und dahinter liegender Praça dos Três Poderes, einer riesigen Steinpiazza mit weiteren Gebäuden und Monumenten bzw. Denkmälern, als auch dem über 100m hohen Fahnenmast mit der Nationalflagge (aufgezogen, wenn der Präsident anwesend ist).
Der Folgetag steht bereits im Zeichen des Marathons. Ich starte wieder zu Fuß vom Hotel, allerdings diesmal Richtung Nordwesten, um im Pavilhão de Exposições im Stadtpark meine Startnummer abzuholen und die Marathonmesse zu besuchen. Meine Gehroute führt vorbei am mächtigen Fernsehturm (Torre de Televisão), dem monumentalen Estádio Nacional de Brasília Mané Garrincha, welches für die Fußball WM 2014 neu gebaut wurde und 72.000 Zuschauer fasst, weiter über das ebenfalls riesige Tagungszentrum Centro de Convenções Ulysses Guimarães, das breit zwischen den beiden Monumentalachsen liegt, zu meinem Ziel im Parque da Cidade, wo sich der in die Jahre gekommene Ausstellungspavillon befindet. Dort ist Freitag mittags noch moderat viel los, aber das Blechdach der Halle macht das Mikroklima darunter bereits ziemlich heißschwül. Ich begebe mich wie üblich zuerst zur Startnummernausgabe. Mit dem gekauften VIP-Kit habe ich angenehmerweise u.a. auch das Privileg, die (noch) kleine Warteschlange beiseite zu lassen und direkt beim VIP-Schalter meine Nummer in Empfang zu nehmen. Station zwei ist dann gleich anschließend das übliche Laufshirt und eine bedruckte Stofftragetasche. Im VIP-Kit enthalten ist auch noch ein weiteres Finisher T-Shirt, welches ich bei einem extra Stand für Sportbekleidung erhalte.
Zufrieden mit dem einfachen Ablauf genieße ich noch einen der vielfältigen Fruchtsäfte und begebe mich langsam wieder Richtung Ausgang. Meinen einstündigen Retourweg zum Hotel gestalte ich so, dass ich wieder ein paar weitere neue Bereiche im oberen Teil der Stadt entdecken kann.
Sonntag – Race Day
Zum Glück hatte ich am Vorabend nochmals letzte Informationsupdates auf der Facebook-Seite des Maratona Monumental geprüft, wo mir tatsächlich die Ankündigung der Startzeit für den Marathon für 05:00 h früh ins Auge sprang. Bis dahin war ich nämlich der Meinung, der Start für Marathon und Halbmarathon sei eine Stunde später geplant, wie in der Ausschreibung festgehalten. Jedoch galt dies offensichtlich nur für den HM. Damit heißt es für mich auch bereits um 03:30 h raus aus den Hotelbettfedern. Zwei Müsliriegel und ein Instant-Kaffee als Frühstück müssen reichen, eine Banane nehme ich mir auf den 2,5 km kerzengerade die Monumentalachse südwärts führenden Anmarsch zum Marathonstart noch mit auf den Weg. Auf Höhe der Catedral Metropolitana Nossa Senhora Aparecida mache ich noch ein Nachtfoto des auf der gegenüberliegenden Seite hell beleuchteten Meisterwerks Oscar Niemeyers. Dann erreiche ich auch schon den Bereich der Esplanada dos Ministérios nahe dem Gesundheitsministerium. Dort in der Querstraße zwischen Eixo Monumental Norte und Sul (N1/S1) befindet sich die Start- und Zielgerade, bereits mit Absperrgittern und Sektorenbändern versehen. Auf der davor gelagerten Wiese herrscht reges Treiben. Leute kommen und suchen andere Freunde, mit denen sie sich offensichtlich verabredet haben. Auffallend viele Laufgruppen und -vereine sind zugegen und ein beachtlicher Anteil von ihnen hat sich ein Zelt oder einen Stand aufgebaut, wo sich jetzt ihre Mitglieder sammeln. In der Nacht hatte es ordentlich Starkregen gegeben und die Luftfeuchtigkeit ist jetzt enorm hoch. Mein Laufshirt ist bereits beträchtlich feucht vom Schweiß der geringen Anstrengung zum Start zu gehen. Ich steuere das VIP-Zelt an, wo wenig los ist. Das ist angenehm und man kann sich hier noch leicht mit letzter Verpflegung und Getränken versorgen. Dann kommen auch schon die Ansagen, sich in die Startblöcke zu begeben. Die Elite-Gruppe (15 Männer und 5 Frauen) zappelt bereits höchst startbereit vor der Matte. Dann wird kurz laute Lautsprechermusik eingespielt und danach zählt die Moderatorin mit uns Starter:innen von 10 runter. Mit dem Startsignal fallen alle Sektoreinteilungen (kein Wellenstart) und alle Läufer schießen nach vorne so gut es geht. Mit meiner Startposition ganz vorne bin ich in Sekunden am Ender der Startgeraden und wir biegen gleich 90° links in die vierspurige Monumentalachse Süd ein. Jetzt wird ordentlich Stoff gegeben von allen, die Elite vorne ist bereits weg und die schnellen Läufer:innen der nachfolgenden Startblöcke überholen unerschrocken. Im sich ergebenden 5-Minuten-Schnitt geht es bei mir in die ersten Kilometer, was ich schon vom Marathon in der Vorwoche als nicht so optimal in Erinnerung habe (eher zu schneller Start für mich). Heute kommt noch die beträchtliche Luftfeuchte dazu und man sieht schon nach den ersten Kilometern, wie viel alle Läufer:innen schwitzen. Die Organisation hat dafür auch ganze 20 (!) Wasserstellen eingerichtet, wovon viele auch ein isotonisches Getränk anbieten werden. Rasch biegen wir nun vor dem Palácio Itamaraty wieder nach links, queren die Esplanda in die andere Richtung und laufen dann 90°rechts vorbei am von der Morgendämmerung in orangem Licht bestrahlten Congresso Nacional und den unmittelbar angrenzenden anderen Bauwerken. Die breite Straße bietet genug Platz für alle Teilnehmer:innen und führt nun ab KM 5 schon leicht bergab Richtung Zufahrtsstraße zur Ponte Juscelino Kubitschek, einer 1.2 km langen asymmetrischen Bogenbrücke aus dem Jahr 2002 über den Lago Paranoá. Bald nach Überquerung der Brücke schickt uns die Streckenführung in einer engen, erst abfallenden und dann wieder ansteigenden Schleife retour auf die Brücke und nach neuerlicher Überquerung bald südwestwärts auf die lange Via L4 South (Avenida das Nações), welcher wir geradlinig bis zu KM 26 folgen. Dort befindet sich die Wende, wo wir nur die Fahrbahnrichtung über den begrünten Mittelstreifen wechseln und wieder eine der vielen Wasserstellen in Anspruch nehmen (müssen). Jetzt drückt auch bereits die Sonne ordentlich auf die Temperatur, die aber 28° C nicht übersteigen wird. Es erscheint unlogisch und fast unnatürlich, dass ich mich zunehmend besser fühle. Aber die Sonne hat doch einiges von dem zeitig in der Früh so dichten Wasserdampf vaporisiert und bei trockener Hitze zu laufen bin ich von vielen Sommermarathons in Europa weit besser gewöhnt als bei tropischer Dampfdichte. Die lange Gerade retour erlaubt einige Blicke auf das Wohn- und Erholungsgebiet des Paranoá-See Südufers, bis wir bei Kilometer 39 endlich wieder das Zentrum erreichen. Erschöpfung und andauerndes Durstgefühl machen sich breit bei mir. Die letzten drei Kilometer führt uns der Marathon nochmals auf die Monumentalachse N1, vorbei an den Welterbebauten, bis hin zur Abbiegung auf die Zielgerade auf der Esplanada dos Ministérios, wo ich mit Freude in 05:10:10 die Finish Line überquere (9. Rang AK65-69). Eine äußerst ansehnliche metallene Medaille von monumentalem Ausmaß ist der Lohn der Anstrengung. Es war insgesamt sehr anstrengend, aber vom Erlebnis her monumental!
Fazit
Der Maratona Monumental de Brasília weist als Hauptstadtmarathon natürlich alle Aspekte einer Sportgroßveranstaltung auf. Anders als die Marathons in Hauptstädten anderer Länder zählt der Brasília Marathon 2024 erst das fünfte Jahr seiner Durchführung. Deshalb erlauben die "nur" 8.000 Teilnehmer aller Bewerbe eine relativ einfache und unkomplizierte Abwicklung der Veranstaltung. Der frühe Start hat seine Vor- aber auch Nachteile. Als Teilnehmer:in aus Mitteleuropa hilft dabei aber die Zeitverschiebung von minus 4 h gegenüber MEZ. Die Startgebühr ist der lokalen Kaufkraft angepasst und daher günstig für die meisten Europäer. Man sollte bei Anmeldung unbedingt das VIP-Paket in Betracht ziehen, die Vorteile sind offensichtlich. Besonders erfreulich ist, dass für Personen über 60 Jahre die Startgebühr nur 50% beträgt. Dies bezieht sich auch auf das VIP-Paket (32 € nach Rabatt). Die Medaille ist äußerst attraktiv und ihre Vorderseite ziert auch das Konterfei des Congresso Nacional, dem Schlüsselbau in Lopez‘/Niemeyers Weltkulturerbestadt.
Die Kursführung ist auf den ersten und letzten Kilometern äußerst interessant und führt durch das Centro Governamental und Weltkulturerbe. Im Mittelteil der Strecke wird versucht, wie oft bei Point-to-Point Auslegungen, Kilometer in Stadtteilen „zu machen“, wo weniger Verkehrsbehinderungen zustande kommen. In Brasília führt da ein grosser Teil der Marathonroute die lange, gerade Via L4 South (Avenida das Nações) hinaus bis KM 26 und desgleichen retour, wobei man genug schönen Ausblick auf den parallel führenden Ausläufer des Lago Paranoá Sul bekommt.
Wer das erste Mal in Brasilien einen Marathon laufen möchte hat grundsätzlich eine riesige Auswahl an Veranstaltungen. Im Frühjahr oder Herbst auf der Südhalbkugel finden sich die meisten Optionen. Eine gute Übersicht gibt etwa die Website //Roadrunners.run/maratonas/.
Die Hauptstadt Brasiliens hat als Reisedestination einen sehr speziellen Reiz. Wer wirklich an Architektur und Städteplanung Interesse hat, kommt beim Brasília Marathon in diesem weltweit einzigartigen architektonischen Gesamtkunstwerk gewiss auf seine Rechnung.
P.S.: Seit kurzem gibt es auch die neue südamerikanische Marathonserie „42K Megafinisher“, welche ähnlich den globalen Marathon-Majors, die größten fünf Hauptstadtmarathons Lateinamerikas verbindet: Montevideo (URY), Lima (PER), Asunción (PRY), Buenos Aires (ARG) und Brasília (BRA). Megafinisher wird, wer in 60 Monaten alle fünf Marathons erfolgreich absolviert.
Teilnehmer:innen und Siegerzeiten Brasília
Frauen:
1. Josciene Teixeira, 03:16:50
2. Ana Paula Maximo Romao, 03:16:51
3. Lizandra Oliveira Pungirum, 03:18:00
∑ 312 Finisher ♀ (13 DNF/DSQ)
Männer:
1. Daniel de Jesus, 02:36:07
2. Rodrigo Roberto do Oliveira, 02:40:33
3. Vinicius Colomby Ruiz, 02:40:35
∑ 1398 Finisher ♂ (82 DNF/DSQ)
∑ insgesamt 1710 Finisher aus 43 Nationen
Marathonauschreibung:
https://www.maratonamonumentalbsb.com.br/
Resultate:
https://chipbrasil.com.br/eventos
Weltkulturerbe:
https://whc.unesco.org/en/list/445
Megafinisher Südamerika:
Fotos vom Autor (© W.Kroer):
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